Freitag, 1. März 2013

Schwarzweißmalerei und der Vorwurf des Günstlingsjournalismus, dokumentiert am Beispiel Peter Sawicki (ehemals IQWiG-Chef).

Vermeintlich investigativer Journalismus à la Markus Grill zeichnet sich nach meiner Beobachtung immer wieder durch ein simples Muster aus: Auf der einen Seite schildert er angebliche Helden, die in den schönsten Farben präsentiert und lobgepriesen werden. Auf der anderen Seite gibt es bei ihm echte oder nur vermutete Bösewichte, die nach allen Regeln der Kunst ihr Fett abbekommen - ihre Sicht der Dinge jedoch nur in dem Maße schildern können, wie Markus Grill es zulässt. Das führt dann, wen wundert es, auch zu sehr einseitigen und künstlich verzerrten Darstellungen von Sachverhalten. Wie „biased“ Markus Grills Berichte sein können, das will ich Ihnen nachfolgend am Beispiel seiner Darstellungen des ehemaligen IQWiG-Chefs Peter Sawicki stichprobenartig zeigen.
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Markus Grill, DER SPIEGEL 28 / 2010

Abbildung: Warum fair und ausgewogen informieren, wenn sich ein Thema so einfach ins rechte (schlechte) Licht rücken lässt? Den Artikel „Der große Schüttelfrust“ (DER SPIEGEL 28/2010, Seite 64) garnierte Markus Grill mit einem Nazi-Foto und dem informativen (?) Untertitel „Verjudete Schulmedizin“. Foto: © Sonja Birkelbach - Fotolia.com
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Peter Sawicki: Held ohne Makel?
Das Verhältnis von Markus Grill zum früheren IQWiG-Chef zeigt ganz klar Indizien, die auf eine fehlende journalistische Distanz zum Gegenstand der Berichterstattung hindeuten. Ob als Reporter des Stern oder als Redakteur des SPIEGEL, Grill zeichnet ein geradezu makelloses Bild von Peter Sawicki, dessen Strahlkraft noch dadurch gesteigert wird, dass finstere Mächte Sawickis persilweiße Weste beschmutzen wollen. Markus Grill über die „Operation Hippokrates“: „Denn so smart der 53-Jährige auf manche wirkt, so kompromisslos ist er in seinen Urteilen“. Glücklich kann sich schätzen, wer in Stern und SPIEGEL solcherart umschmeichelt wird, ohne einen Spin-Doctor bezahlen zu müssen.

Verklärung von Peter Sawicki und evidenzbasierter Medizin
In seinem Artikel „Pharmalobby - Gib dem Affen Zucker“ (Stern, 13.06.2006) wird Sawicki zum „Lieblingsfeind der Pharmaindustrie“, der „nur evidenzbasierte Medizin gelten lässt“. Für mich ist das eine naive und auf fehlendes wissenschaftliches Fachwissen hindeutende Simplifizierung. Was als evidenzbasierte Medizin gilt und was nicht, das lässt sich aus forschungsmethodischen Gründen gar nicht so einfach feststellen und das erfordert einen pluralistischen wissenschaftlichen Prozess, der viele Stimmen benötigt, nicht nur die von Peter Sawicki. Damit Sie verstehen, was ich meine: Das Journal „Health Affairs“ veröffentlichte kürzlich einen Artikel („Salt and public health: contested science and the challenge of evidence-based decision making“), der untersucht, warum auch nach über vierzig Jahren Forschung in der Scientific Community Uneinigkeit darüber vorherrscht, ob ein übermäßiger Salz-Konsum (eigentlich eine gefühlt banale Frage) gesundheitsgefährdend ist oder nicht. Die Autoren kommen dabei zu dem Schluss, dass „scientific uncertainty“ ein fester Bestandteil evidenz-basierter Entscheidungen ist.

Wie eine inszenierte Show-Veranstaltung
Schaue ich mir ein Gespräch von Markus Grill, Peter Sawicki und Andreas Barner an, „Medikamente -Warum sagen Sie nichts zur Korruption?“ (Stern, 26.08.2006), so entsteht für mich der Eindruck einer inszenierten Show-Veranstaltung, garniert mit Suggestivfragen und Totschlagargumenten. Markus Grill stellt Fragen, die sich größtenteils als Steilvorlage für Peter Sawicki interpretieren lassen. „Herr Barner, warum bekämpfen Sie Peter Sawicki?“ Was soll Herr Barner auf solch eine Suggestivfrage antworten? Und Peter Sawicki argumentiert nicht nur sachlich sondern auch persönlich: „Sie haben uns vorgeworfen, wir hätten beim Gutachten für Insulin-Medikamente aus tausend Studien nur sieben ausgesucht, die uns gepasst haben. Ich weiß nicht, ob Sie das aus Böswilligkeit sagen oder aus Unkenntnis?“ Warum wird Herr Barner überhaupt noch gefragt, wenn Peter Sawicki die Antwort schon vorgibt? Und warum lässt Markus Grill diesen leicht zu durchschauenden Stil zu? Warum geht er nicht der spannenden Frage nach, ob an dem Vorwurf der Studienselektion etwas dran ist oder nicht?

Grill zeichnet ein unvollständiges Bild von Peter Sawicki
Als der Vertrag von Peter Sawicki 2010 nicht verlängert wird, setzt Markus Grill seine Schwarzweißmalerei fort und verfasst den Artikel „Affären: Wem helfen die jüngsten Attacken von Minister Rösler auf die Industrie?“ (DER SPIEGEL, 11/2010). Ich teile Grills Analyse, dass Sawickis Ablösung einen politischen Hintergrund hat. Der ist schwer zu übersehen. Ich teile jedoch nicht den möglichen Eindruck, dass die Absetzung Sawickis dem Ziel diente, einen seriös und hoch professionell arbeitenden Institutsleiter zu entsorgen, um Lobbyisten nachzugeben. Bereits ein Blick auf die Arbeit von IQWiG-Chef Prof. Dr. med. Jürgen Windeler oder das 2011 in Kraft getretene „Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes (AMNOG)“ reichen aus, um zu erkennen, dass vieles glatt und gut läuft in der Ära nach Peter Sawicki.

Überprüfen Sie die folgenden Anekdoten und Sie werden vielleicht meine Meinung teilen, dass Markus Grill rund um Darstellungen von Peter Sawicki unkritischen Günstlingsjournalismus betrieben hat. Er hätte zwischen den Extremen „Gut“ und „Böse“ durchaus noch einige Graustufen und Facetten schildern können, ohne seine Stern- und SPIEGEL-Leser zu überfordern. Und Peter Sawicki hätte vielleicht davon profitiert, wenn er zu Markus Grill mehr auf Distanz gegangen wäre.

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Peter Sawicki: Was Markus Grill nicht gesehen hat oder nicht sehen wollte
Laut Ärzte Zeitung (24.11.2004) wünschte sich der „Leiter des neuen Qualitätsinstituts“ unabhängige Mitarbeiter: „Per Einstellungsvertrag müssten sich die Instituts-Mitarbeiter verpflichten, keine externen Gelder anzunehmen, sagte der Diabetologe bei einer Veranstaltung des Bundesverbandes niedergelassener Kardiologen in Wiesbaden: ‚Wer sich nicht daran hält, der muss wieder gehen.‘“.

1. Kritik von Prof. Harald G. Schweim
Hehre Grundsätze, aber galten diese Einstellungsbedingungen auch für den Institutsleiter selbst? Das Magazin Technology Review (20.10.2005) berichete, dass Sawicki nach eigenen Angaben von Arzneimittelherstellern „für Seminare und wissenschaftliche Beratung entlohnt“ worden sei. Prof. Harald G. Schweim schreibt in einem Newsletter (30.09.2006), Sawicki habe gemeinsam mit seinem Mitarbeiter Thomas Kaiser und weiteren Autoren im Journal of Hypertension unter der IQWIG-Adresse eine „Pilotstudie“ (J Hypertens. 2006 Jul;24(7):1397-403.) veröffentlicht, die von der Berlin-Chemie finanziert worden sei und eine Schlussfolgerung zu Gunsten des Auftraggebers enthalte, die sie laut Prof. Schweim wegen „mangelnder Power“ (nur 10 Patienten als Bewertungsbasis) nicht haben dürfte.

Peter Sawicki, Berlin-Chemie, IQWiG

Die Wirtschaftswoche befragte Peter Sawicki zu diesem Sachverhalt und gab auch seine Sichtweise wieder. Sie zitiert Sawicki mit den Worten: „Diese Pilotstudie sollte nur die Machbarkeit der simultanen kombinierten Messung der Insulinsensitivität, des Blutflusses und der arteriellen Elastizität bei Typ-2-Diabetikern klären, die entweder diesen Betablocker oder einen ACE-Hemmer schlucken ... Für so eine eng umrissene Fragestellung reichen zehn Probanden aus.“ Wie bizarr: Eine „einfache“ Fragestellung (was Peter Sawicki darunter versteht, wäre noch zu klären) erlaube Untersuchungen mit sage und schreibe nur 10 Probanden und aus diesen sollen sich dann tatsächlich statistisch signifikante Ergebnisse ableiten lassen? Kann man daraus schließen, dass bei einer weiteren Vereinfachung der Fragestellung sogar nur 5 oder 3 Probanden zu statistisch signifikanten Ergebnissen geführt hätten? Harald G. Schweim, immerhin Pharmazeut und Professor für „Drug Regulatory Affairs“ an der Universität Bonn, teilt die stark nach einer Schutzbehauptung klingende Aussage von Peter Sawicki nicht. Er spricht von „mangelnder Power“ und kritisiert die Industriefinanzierung.

Informationen dieser Art hätten doch ein gefundenes Fressen für einen investigativen Journalisten wie Markus Grill sein müssen - vorausgesetzt natürlich, er misst mit einheitlichen Maßstäben.

Hans-Joachim Maes über die Arbeit des „Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen“.

2. Hohes Qualitätsniveau im deutschen Gesundheitswesen?
In einer Pressemeldung vom 10.11.2005 informierte das IQWiG über eine „Umfrage unter schwerer erkrankten Erwachsenen in Kanada, Australien, Neuseeland, Großbritannien, den USA und Deutschland“ und schilderte das deutsche Gesundheitswesen - von einigen Wermutstropfen einmal abgesehen - in den schönsten Farben. O-Ton IQWiG: „Deutschland hat im internationalen Vergleich die kürzesten Wartezeiten, Laborbefunde sind verlässlicher und liegen schneller vor, Patienten haben mehr Möglichkeiten bei der Arztwahl, bekommen im Krankenhaus seltener eine Infektion und wer chronisch krank ist, wird häufiger und regelmäßiger präventiv untersucht.“ In einem Beitrag des NOVO-Magazins kritisiert Hans-Joachim Maes hingegen einen „Trick“ in der Präsentation der Umfragedaten:

„Der hehre Anspruch des IQWiG („hohe Qualität“, „absolute fachliche Unabhängigkeit“) ist von Prof. Sawicki aufgegeben worden. Tatsächlich hatte die Umfrage des „Commonwealth Fund“ für Deutschland ein niederschmetterndes Resultat erbracht: In keinem anderen Staat wurde das Gesundheitssystem schlechter bewertet als in Deutschland ...

... Sawickis Trick war folgender: Die Originaltabelle enthält drei Zeilen mit den vorgegebenen Antwortmöglichkeiten („Only minor changes needed“, „Fundamental changes needed“, „Rebuild completely“). Sawicki hatte schlichtweg die Ergebnisse zu „Fundamentale Änderungen sind erforderlich“ nicht genannt – 54 Prozent der Befragten waren dieser Ansicht. 54 Prozent negative Bewertungen fielen unter den Tisch.

Über die vom NOVO-Magazin gewählte Überschrift „Institutionalisierte Desinformation“ kann man sicherlich streiten. Sie unterstellt versteckt eine bösartige Täuschungsabsicht, ohne diese zu belegen. Auch der Duktus des Artikels klingt für mich zu sehr nach Emotionen und einer Abrechnung. Ein rundes Bild entsteht auch erst dann, wenn Peter Sawicki die Möglichkeit erhält, seine Sicht der Dinge zu schildern. Vielleicht hat er ja Argumente, welche die Kritik entkräften oder entschärfen. Sollte der Vorwurf, dass ein großer Teil negativer Bewertungen von Peter Sawicki (ohne Angabe von Gründen und ohne Information der Öffentlichkeit ) ausselektiert wurde, jedoch stimmen, dann wäre das schon ein starkes Stück. In diesem Fall wäre auch die scharfe Wortwahl von Hans-Joachim Maes menschlich verständlich.


Logo IQWiG

3. Das IQWiG benötigt einen Leiter mit Fingerspitzengefühl
Deutschland war lange Zeit eine Art Schlaraffenland für pharmazeutische Unternehmen, in dem Preise diktiert und Gesetzgebungsverfahren relativ einfach lobbyistisch „begleitet“ werden konnten. Diese Zeit endete, als Rot-Grün im Jahr 2004 das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung einführte. Gesetzliche Krankenkassen (GKV) dürfen seitdem den Nutzen medizinischer Innovationen systematisch in Frage stellen - über den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) als politische Instanz und über das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) als wissenschaftliche Instanz. Insulinanaloga waren das erste große Evaluierungsprojekt, welches die neuen Spielregeln auf dem deutschen Gesundheitsmarkt sichtbar machte.

Der übersehene Interessenkonflikt des IQWiG
Es ging und geht bis heute um sehr viel Geld, welches verdient oder gespart werden kann. Rechtfertigen Insulinanaloga den höheren Preis? Sind sie sicher? Das neu geschaffene IQWiG widmet sich diesen Fragen intensiv. Unter seinem Leiter Peter Sawicki stellen sich jedoch auch schnell sensible Fragen: Wie objektiv sind Evaluierungen und Bewertungen des IQWiG, wenn die gesetzlichen Krankenkassen (GKV) über den GKV-Spitzenverband 50 Prozent der Stimmen im IQWiG-Stiftungsrat halten und gleichzeitig von IQWiG-Studien wirtschaftlich profitieren könnten?

Auch Peter Sawicki hatte Motive und Interessen
Diesen (theoretischen) Interessenkonflikt vor Augen, wäre es für Peter Sawicki klug gewesen, wenn er sich öffentlich mit politischen Aussagen, die Untersuchungen seines Instituts betreffen, zurückgehalten hätte. Wer ein politisches Motiv hat (theoretisch haben kann) und gleichzeitig wissenschaftlich evaluiert, der setzt sich dem Verdacht aus, nicht objektiv zu urteilen. Was bei der Verteilung von Staatsgewalt Sinn macht - Gewaltenteilung - das ist auch rund um wissenschaftlich-politische Fragestellungen sinnvoll. Wollen Krankenkasse die Kosten senken oder Arzneimittelhersteller ihre Margen sichern, dann sollten beide keinen Einfluss auf eine Bewertungsinstanz haben. Ist eine „institutionalisierte Neutralität“ jedoch nicht gewährleistet, weil Kassen über den GKV-Spitzenverband 5o Prozent der Stimmen im IQWiG-Stiftungsrat besitzen, dann ist allergrößte Zurückhaltung und viel Fingerspitzengefühl erforderlich, sobald es um politische Fragen und Diskussionen geht. Die hat Peter Sawicki meines Erachtens jedoch vermissen lassen, wie z. B. sein von Markus Grill geschickt inszeniertes Gespräch mit Andreas Barner zeigt oder seine Äußerungen zur statistischen (!) Krebsgefahr des Insulinanalogons Lantus:


Die folgende (inhaltlich leicht modifizierte) Textpassage stammt aus einem Beitrag, den ich ursprünglich im Neuraltherapie.Blog: veröffentlicht habe:

+ + + + + + + + + + + + Zitat Anfang + + + + + + + + + + + +

press release 29/07/2009
Abbildung: Vernichtendes Urteil der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) zur fehlenden Aussagekraft einer das Analoginsulin Lantus betreffenden IQWiG-Studie.


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Peter Sawicki, Lantus®, eine IQWiG-WidO-Studie und (kein) Krebs
Unter der reißerischen Überschrift „Dünger für Krebszellen“ (SPIEGEL, 29.06.2009) berichtete Markus Grill im Sommer 2009 von neuen angeblichen Erkenntnissen, gemäß denen „das Analoginsulin Lantus das Krebswachstum befördern kann“. Grill bezog sich in seinem gemeinsam mit Veronika Hackenbroch verfassten Bericht u.a. auf retrospektive Daten von 127.031 Patienten, die von Mitarbeitern des IQWiG und des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WidO) analysiert worden waren (Diabetologia. 2009 Sep;52(9):1732-44.). O-Ton SPIEGEL:

„Das ist wirklich nicht gut, was wir da herausgefunden haben“, sagt IQWiG-Chef Peter Sawicki. „Statistisch gesehen heißt das, dass in anderthalb Jahren von 100 Menschen, die mit Lantus behandelt werden, einer eine Krebserkrankung bekommt, die er mit dem herkömmlichen Humaninsulin nicht bekommen hätte.“

Mit dieser gewagten Behauptung hat sich Peter Sawicki damals sehr weit aus dem Fenster gelehnt. Welcher SPIEGEL-Leser weiß schon, dass ein rein rechnerischer statistischer Zusammenhang kein Beleg für einen kausalen Zusammenhang zwischen Lantus und Krebs ist. Für Laien und die Öffentlichkeit entstand so vorschnell ein „gefühlter“ Zusammenhang. Und das im Kontext (legitimer) Preisverhandlungen, die damals zwischen den gesetzlichen Krankenkassen und Lantus-Hersteller Sanofi-Aventis stattfanden. Wobei man wie oben erwähnt wissen muss, dass die Kassen über den GKV Spitzenverband und den G-BA zu den Trägern des IQWiG gehören. Kritische Beobachter fragten sich damals, ob die GKV hier über das von ihnen mitgetragene IQWiG eine Drohkulisse aufgebaut haben, um ihre Preisvorstellungen leichter durchsetzen zu können. Schaut man sich an, welche GKV heute Lantus-Kosten über Mehrwertvertäge erstatten, so wird der mögliche Eindruck einer Preisverhandlung mit harten Bandagen nicht gerade entkräftet. Vielleicht hat die Ablösung von Peter Sawicki als Chef des IQWIG im Jahr 2010 ja weder etwas mit Spesen noch mit der „bösen Pharmalobby“ zu tun.

Fundamentale Kritik der European Medicines Agency (EMA)
Grill und Hackenbroch schlussfolgerten im SPIEGEL, dass die IQWiG-WidO-Zahlen hochgerechnet allein in Deutschland knapp 3.500 zusätzliche Krebskranke pro Jahr bedeuten könnten. Über ein wichtiges Detail hat der SPIEGEL seine Leser bisher allerdings nicht informiert. In einer Pressemitteilung der European Medicines Agency, die sich auch auf die IQWiG-WidO-Studie bezieht, heißt es nur einen Monat nach dem SPIEGEL-Artikel:

„Due to methodological limitations the studies were found to be inconclusive and did not allow a relationship between insulin glargine and cancer to be confirmed or excluded. In addition, the Committee noted that the results of the studies were not consistent.“

Übersetzt man die Aussagen der Europäischen Arzneimittel-Agentur in eine laienverständliche Sprache, so könnte man auch sagen: Die von Mitarbeitern des IQWiG und des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WidO) erstellte Analyse ist isoliert und im Kontext anderer Studien unbrauchbar, erlaubt keinerlei Aussage zum Krebsrisiko, weder positive noch negative Schlussfolgerungen. In einer leicht überlesbaren Anmerkung schreiben das auch Markus Grill und Veronika Hackenbroch: „Bislang ist nicht belegt, dass Lantus-Behandlung und Krebs wirklich ursächlich zusammenhängen – diesen Beweis können Auswertungen von Krankendaten prinzipiell nicht leisten. Die Ergebnisse sind wegen einiger methodischer Probleme zudem mit Vorsicht zu betrachten.“

Wenn dem so ist und wenn Sprache einen Sinn hat, dann ist die Aussage im SPIEGEL-Teaser „stellt sich nun heraus, dass das Analoginsulin Lantus das Krebswachstum befördern kann“ trotz Konjunktiv logisch nicht zulässig. Genauso, wie sich aus den Messergebnissen zehn defekter Waagen kein Verdacht auf Übergewicht ableiten lässt. Laut Europäischer Arzneimittel-Agentur erlauben die Studien aus methodischen Gründen keinerlei Schlussfolgerung, welcher Art auch immer. Aktuell erstatten ca. 95 Prozent der gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für Lantus. Von einer Krebsgefahr ist keine Rede mehr – eher das Gegenteil ist der Fall. Neue Studien (siehe: IQWiGÄrzte Zeitung, Frankfurter Rundschau) entkräften die Krebs-Hypothese tendenziell. In der öffentlichen Diskussion ging meiner Meinung nach unter, dass es nie um konkrete und belastbare Belege für eine Krebsgefahr ging und stattdessen um einen Beleg der Sicherheit. Das geht nur mit großen Studien und ist nicht so einfach. 

Die Preisverhandlungen zwischen den GKV (zu 50 Prozent im Stiftungsrat von „Peter Sawickis IQWiG sitzend) und Sanofi-Aventis scheinen jedoch erfolgreich verlaufen zu sein. Wer weiß, vielleicht hat der Begriff „Friendly Fire hier eine ganz neue Bedeutung bekommen. Von Nachteil war Grills Artikel „Dünger für Krebszellen“ für die GKV jedenfalls nicht.

+ + + + + + + + + + + + Zitat Ende + + + + + + + + + + + +
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Foto: © XtravaganT - Fotolia.com

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Was lernen wir daraus?
Meiner Meinung nach heißt alles dies, dass Peter Sawicki - so wie jeder Mensch, wie Sie und ich auch - Stärken und Schwächen, helle und dunkel Seiten hat. Markus Grill scheint sich - so mein persönlicher Eindruck - für beide Seiten der Medaille dann nicht zu interessieren, wenn er Menschen, über die er berichtet, frei nach Bauchgefühl, Sympathie und Antipathie - vielleicht auch nach Nützlichkeitserwägungen, wer weiß das schon - in die Schublade „Freund“ oder „Feind“ schiebt. Wenn er so etwas in einer Schülerzeitung machen würde, dann fände ich das ziemlich dumm. Wenn er so etwas jedoch im SPIEGEL macht, dann finde ich das demokratie-gefährdend.

Im Kontext IQWiG hat Markus Grill meines Erachtens vollkommen übersehen, dass im Ringen um einen fairen Interessenausgleich zwischen Arzneimittelindustrie und den gesetzlichen Krankenkassen (als Repräsentanten der Mehrzahl der Bürger) eine Machtverschiebung zu Gunsten der GKV stattgefunden hat, bei der sichergestellt werden muss, dass nicht ein Extrem (Pharmabranche diktiert Preise und Pharmalobby beeinflusst die Gesetzgebung) durch ein anderes theoretisch mögliches Extrem (GKV nutzen das IQWiG, um Gutachten zu beeinflussen, von denen sie wirtschaftlich profitieren) ersetzt wird.

Fazit:
Meiner Meinung nach zeigen verschiedene Stern- und SPIEGEL-Artikel von Markus Grill deutliche Züge von Schwarzweißmalerei, Polarisierung, naiver Simplifizierung komplexer Zusammenhänge und Günstlingsjournalismus in Bezug auf Peter Sawicki.
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