Mittwoch, 18. Dezember 2013

„Privilegierte Partnerschaft“? AOK, SPIEGEL und Auffälligkeiten bei der Vorstellung des Arzneiverordnungs-Reports am 27.09.2012

In diesem Blog ging es schon mehrfach um Auffälligkeiten im Verhältnis von AOK und IQWiG zum Magazin DER SPIEGEL (1) (2) (3) (4). Nun ist eine weitere Kuriosität aufgetaucht. Springer Medizin lud die Presse am 27.09.2012 um 11 Uhr zur Vorstellung des „Arzneiverordnungs-Reports 2012 ein. Zur gleichen Zeit veröffentlichte SPIEGEL ONLINE den Beitrag „Arzneimittelreport: Medikamente in Deutschland sind viel zu teuer“ (5) von Markus Grill und gab wesentliche Inhalte der Pressekonferenz wieder, bevor diese überhaupt stattgefunden hat. Zufall? Das Transkript der Presskonferenz enthält einen Wortbeitrag von Uwe Deh (AOK), der Markus Grill namentlich erwähnt. Was auf den ersten Blick wie das harmlose Ergebnis einer Sperrfrist aussieht, wirft bei genauem Hinsehen ethische und journalistische Fragen auf: Wird der SPIEGEL bevorzugt behandelt? Wenn ja: Revanchiert sich der SPIEGEL dafür mit unkritischer AOK-Berichterstattung? Mehr ...

Arzneimittelverordnungs-Report 2012 Pressekonferenz
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Kungelt die AOK mit dem SPIEGEL? Markus Grill veröffentlicht am 27.09.2012 um 11:00 Uhr auf SPIEGEL ONLINE die Ergebnisse einer Pressekonferenz zur Vorstellung des „Arzneimittel-Reports 2012, bevor diese überhaupt stattgefunden hat. FOCUS Online wurde allem Anschein nach nicht „privilegiert informiert“, berichtet am gleichen Tag erst um 13:02 Uhr.
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Kungelt die AOK mit dem SPIEGEL?
Hätte Springer Medizin die Ergebnisse seiner Pressekonferenz „Arzneiverordnungs-Report 2012“ schon vorab veröffentlicht und mit einer sogenannten Sperrfrist versehen, dann hätten sich Medienprofis für eine Uhrzeit nach Abschluss der Konferenz entschieden, also z.B. um 12 Uhr statt um 11 Uhr, und dann wären alle Medien gleich behandelt worden. Das Ungewöhnliche an diesem Fall ist jedoch, dass SPIEGEL ONLINE die Inhalte einer Pressekonferenz vom 27.09.2012 um 11 Uhr bereits am 27.09.2012 um 11 Uhr veröffentlicht, während beispielsweise die Kollegen von FOCUS Online erst um 13:02 Uhr berichten, also nach Abschluss der Pressekonferenz. Sperrfristen machen Sinn, wenn es um Inhalte einer Pressemitteilung geht. Pressekonferenzen jedoch, deren Ergebnisse schon vorab schriftlich veröffentlicht werden, machen im journalistischen Alltag wenig bis keinen Sinn.

Arzneimittelverordnungs-Report 2012
Abbildung: Auszug aus der Einladung zur Pressekonferenz „Arzneiverordnungs-Report 2012“. Zwei von vier Gesprächspartnern stammen von der AOK.


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Markus Grill informiert bei SPIEGEL ONLINE über die Inhalte einer Pressekonferenz, bevor diese überhaupt stattgefunden hat. Wie ist so etwas möglich? Verfügt der SPIEGEL-Redakteur, der von der AOK bereits zwei Journalisten-Preise verliehen bekommen hat, über hellseherische Fähigkeiten?

Einmal angenommen, irgendjemand (z. B. aus dem AOK-Umfeld) hat Markus Grill schon vor der Pressekonferenz mit wichtigen Daten der geplanten Veranstaltung versorgt, um ihm im Wettbewerb mit anderen Medien (FOCUS, FAZ usw.) einen Vorteil zu verschaffen. Dann würde sich sofort die Frage stellen, ob sich Markus Grill für eine solche (zunächst nur hypothetisch angenommene) bevorzugte Behandlung auch brav mit einer Gegenleistung bedankt.

Revanchiert sich der SPIEGEL mit unkritischer AOK-Berichterstattung?
Das Magazin FOCUS demonstriert auf seiner Nachrichten-Website sehr schön, woran man erkennen kann, dass eine Quelle journalistisch relevanter Informationen nicht bevorzugt behandelt wird. FOCUS Online veröffentlichte am 27.09.2012 die dpa-Meldung „Arzneimittel in Deutschland sind viel zu teuer“ mit den Ergebnissen der von Springer Medizin organisierten Pressekonferenz „Arzneiverordnungs-Report 2012“. Bereits am 26.09.2012 veröffentlichte FOCUS Online allerdings auch die Pressemitteilung „BPI: Schlechte Zahlen – gute Politik?“. Diese informiert über eine vom Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e.V. in Auftrag gegebene wissenschaftliche Untersuchung von Prof. Dieter Cassel, Universität Duisburg, und Prof. Volker Ulrich, Universität Bayreuth, die Behauptungen des Arzneiverordnungs-Reports kritisch hinterfragt. Wer wie FOCUS Online beide Seiten unverfälscht zu Wort kommen lässt, der verhält sich neutral.

Nun muss man wissen, dass die Daten des Arzneiverordnungs-Reports nicht unumstritten sind. Schon im Jahr 1999 stellte das „Deutsche Ärzteblatt eine im Buchform veröffentlichte Analyse von Hans-Joachim Maes vor, wonach der Report in Teilen möglicherweise „wissenschaftlich nicht fundiert ist“. Weil die Herausgeber des Reports nicht frei von politischen Interessen sind, könnte es Sinn machen, kritischen Stimmen nachzugehen. Wer hingegen „privilegiert“ informiert wird, von der AOK schon zwei Journalisten-Preise verliehen bekommen hat, der könnte in seiner Bereitschaft, kritisch zu hinterfragen, stark gehemmt sein.


Uwe Deh, AOK, Arzneiverordnungs-Report 2012
Zufall oder Freud'sche Fehlleistung? Markus Grill veröffentlicht die Inhalte einer Pressekonferenz zur Vorstellung des „Arzneimittelverordnungs-Reports 2012“ bevor diese stattgefunden hat und wird von einem Redner der Pressekonferenz (Uwe Deh, geschäftsführender Vorstand des AOK-Bundesverbandes) am Ende der Veranstaltung namentlich erwähnt.


Offene Fragen, die bisher nicht ausreichend beleuchtet wurden:
Wie aber kann ein Journalist wie Markus Grill in Erfahrung bringen, welcher Quelle und Aussage er vertrauen kann und welcher nicht? Sind Daten und Behauptungen des Arzneiverordnungs-Reports wirklich zu 100 Prozent korrekt und vertrauenswürdig? Wie seriös ist im Gegenzug die Kritik von Hans-Joachim Maes, der laut Ärzteblatt z. B. bemängelt, dass der Report-Herausgeber Prof. em. Dr. med. Ulrich Schwabe „Teile seiner Ausarbeitung über Jahre einfach wiederverwendet habe, ohne sie zu aktualisieren.

Fragen zur Kritik von Hans-Joachim Maes
Alle diese Fragen sind journalistisch hoch interessant. Würde Markus Grill unvoreingenommen über den Arzneiverordnungs-Report berichten, dann hätte er einfach nur recherchieren und diesen Fragen nachgehen müssen. Ob beispielsweise die Kritik von Hans-Joachim Maes berechtigt ist, dass Teile des  Arzneiverordnungs-Reports in der Vergangenheit per Copy-and-Paste wiederverwendet wurden, ohne sie zu aktualisieren, lässt sich nur herausfinden, wenn ein Wille zur investigativen Recherche besteht und wenn die von Hans-Joachim Maes bemängelten Stellen systematisch überprüft und bewertet werden. Dabei gilt die einfache Regel: Wer etwas zu verbergen hat, der wird kein großes Interesse daran haben, dass solchen Fragen ernsthaft nachgegangen wird.

Markus Grill hätte einfach nur die Position der Herausgeber des Arzneiverordnungs-Reports und die Position der Kritiker des Arzneiverordnungs-Reports ernsthaft und fachlich fundiert untersuchen und in einem SPIEGEL-Bericht darstellen müssen. Hätte er das gemacht, dann wäre er jetzt frei von dem Verdacht, er würde eine Quelle, die ihn schon mit zwei Journalisten-Preisen versehen hat, besonders vorteilhaft und unkritisch darstellen.

Markus Grill erwähnt zwar beispielsweise (5), „die Pharmaindustrie“ argumentiere „gern, dass man Arzneimittelpreise in Europa nicht vergleichen könne“, um dann mit Verweis auf Ulrich Schwabe zu erklären, „dass man die Unterschiede dennoch einrechnen könne“. Das alles sind jedoch nur Behauptungen. Welche Behauptung einer fundierten Prüfung standhält (oder eher PR-Charakter hat), das bleibt offen. Bei meinen Recherchen ist mir bisher kein einziger Beitrag von Markus Grill aufgefallen, der Methodik und Aussagen des Arzneiverordnungs-Reports systematisch untersucht und fundiert hinterfragt. Aufgefallen ist mir hingegen eine „journalistische Arbeitsweise“ wie im Falle des früheren IQWiG-Chefs Peter Sawicki (4), die meiner Meinung nach im Grenzbereich zu PR und Abwehr-PR für eine Quelle angesiedelt ist.


Lesetipps zum Thema:

Jagd im gleichen Revier: über SPIEGEL, Frontal 21 und die Fließbandproduktion von Skandalen im Gesundheitswesen

(Journalistische) Welt im Wandel. Kannibalismus an der Ericusspitze und Erkenntnisse aus der SPIEGEL-Krise.



Quellen:

(1) „Alarmsignal“: hinterfragungswürdige AOK-WIdO-Studien im SPIEGEL. Heute die PKV, gestern das Analoginsulin Lantus.

(2) Blogbeitrag mit Folgen? Über das plötzliche Verschwinden einer IQWiG-Information zur Sicherheit von Insulin Glargin (Lantus) 

(3) Jagd im gleichen Revier: über SPIEGEL, Frontal 21 und die Fließbandproduktion von Skandalen im Gesundheitswesen 

(4) Schwarzweißmalerei und der Vorwurf des Günstlingsjournalismus, dokumentiert am Beispiel Peter Sawicki (ehemals IQWiG-Chef). 

(5)  Arzneimittelreport: Medikamente in Deutschland sind viel zu teuer, Markus Grill, SPIEGEL ONLINE, 27.09.2012 - 11:00 Uhr


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