Samstag, 17. August 2013

Schon wieder dpa-Verweis auf den SPIEGEL? Markus Grill, Mediziner-Honorare und geldwerter Rückenwind von der Deutschen Presse-Agentur (dpa) und Tagesschau.

Glückwunsch an die Redaktionen von Süddeutscher Zeitung und SPIEGEL! So viel Fortune (oder Chuzpe?) muss man erst einmal haben. Das mit Steuergeldern finanzierte Statistische Bundesamt veröffentlichte am 15.08.2013 die Datei „Unternehmen und Arbeitsstätten - Kostenstruktur bei Arzt- und Zahnarztpraxen sowie Praxen von psychologischen Psychotherapeuten“ und SZ sowie SPIEGEL schafften es doch tatsächlich, diese öffentlichen Daten als Exklusivinformation zu präsentieren. Medien wie FAZ und ZEIT machten das Spiel - dpa sei Dank! - bereitwillig mit, warben für die Konkurrenz und zahlen dpa dafür wahrscheinlich sogar noch Geld. Auffällig: Auch der letzte SPIEGEL-Beitrag von Markus Grill, sein Interview mit Sonia Mikich, kam in den Genuss einer „dpa-Promotion“ (siehe z. B. hier ...), ohne dass unser Finanzminister jene Steuern erhielt, die bei einer news-aktuell-Meldung fällig gewesen wären. Ein dpa-Verweis auf Beiträge einzelner Medien ist in Ordnung, wenn auf diese Weise exklusive und bedeutende Informationen verbreitet werden. M. E. gehören jedoch weder öffentliche Daten des Statistischen Bundesamtes noch die „Buch-Promotion“ für Sonia Mikich in diese Kategorie. Ich sehe hier vielmehr den Einfluss von „Vitamin B“.
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Mediziner-Honorare: Ärzte kassieren durchschnittlich 17 Prozent mehr
Abbildung: Zeitgleiche „Exklusivmeldung“ öffentlicher Daten, eigene Akzente in den Details. SZ: „Ärztehonorare steigen deutlich“. SPIEGEL ONLINE: „Mediziner-Honorare: Ärzte kassieren durchschnittlich 17 Prozent mehr“



Privilegien für Privilegierte? De-facto-Verlags-PR via dpa und Tagesschau
Dass das Geschäft mit Printmedien kein Selbstläufer mehr ist, hat sich inzwischen herumgesprochen. Würde der SPIEGEL-Verlag weiterhin fette Umsätze und Erträge erwirtschaften (-> Meedia: „Spiegel-Umsatz sinkt auf Niveau von 2003“), dann wären Georg Mascolo und Mathias Müller von Blumencron vermutlich noch Chefredakteure. Journalismus versorgt die Öffentlichkeit nicht nur mit Informationen. Journalismus ist auch ein knallhartes Geschäft, das von großen Teilen der Öffentlichkeit durchaus realistisch eingeschätzt wird (siehe z. B.: „Entzauberung eines Berufs. Was die Deutschen vom Journalismus erwarten und wie sie enttäuscht werden“ von Prof. Dr. Wolfgang Donsbach und Kollegen).

Wie gut, dass manche Medien bei der Vermarktung ihrer Produkte über Möglichkeiten verfügen, die anderen Medien oder der breiten Öffentlichkeit nicht zur Verfügung stehen. Publizieren Sie ein interessantes Buch und wollen es bekannt machen, dann kostet Sie viel Werbung viel Geld. Will die Osnabrücker Zeitung ein interessantes und journalistisch relevantes Gespräch mit Eugen Brysch, dem Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, öffentlich bekannt machen, dann benötigt sie z. B. eine Pressemitteilung bei der dpa-Tochter news aktuell (diese hier ...) und zahlt dafür den entsprechenden Preis sowie Umsatzsteuer.

Wünscht sich der SPIEGEL maximale und kostenlose PR, so stehen ihm viel effektivere Wege zur Verfügung. Mein Eindruck: Der SPIEGEL muss nur seine guten Kontakte zu den Redaktionen von dpa und Tagesschau nutzen, einen redaktionellen Beitrag attraktiv inszenieren und schon kann er selbst öffentliche Informationen des Statistischen Bundesamtes, vom Steuerzahler finanziert, als eine Art Exklusivmeldung präsentieren und per dpa (z. B. hier ...) und Tagesschau (z. B. hier ...) auch für Zwecke des Marketings nutzen.

Fragen an das Statistische Bundesamt
Ich habe beim Statistischen Bundesamt nachgefragt, ob die Daten zur Entwicklung der Mediziner-Honorare für die Öffentlichkeit frei verfügbar sind und ob Süddeutsche Zeitung und SPIEGEL vom Statistischen Bundesamt exklusiv und/oder bevorzugt informiert worden sind. Simone Sesterhenn von der Pressestelle des Statistischen Bundesamtes antwortete mir u.a.:

„Die Fachserie "Kostenstruktur bei Arzt- und Zahnarztpraxen sowie
Praxen von psychologischen Psychotherapeuten" ist für die Öffentlichkeit auf unserer Homepage frei zugänglich. Der folgende Link führt Sie zur Fachserie.


Kostenstruktur bei Arzt- und Zahnarztpraxen sowie Praxen von psychologischen Psychotherapeuten

https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/DienstleistungenFinanzdienstleistungen/KostenStruktur/KostenstrukturAerzte2020161119004.pdf?__blob=publicationFile

Die von Ihnen erwähnten Zeitungen sind durch eigene Rechere auf die bereits publizierten Downloads im Internet gestoßen.“

Die Wortwahl „durch eigene Recherchen“ lässt Spielraum für sehr unterschiedliche Interpretationen. Für unwahrscheinlich halte ich die Version, dass das Statstische Bundesamt seine neuen Daten am 15.08.2013 einfach so ins Netz stellte, Guido Bohsem (SZ) und Markus Grill (SPIEGEL) zur gleichen Zeit und zufällig die Seite „Publikationen / Thematische Veröffentlichungen / Dienstleistungen“ besuchten, die Daten dort fanden, zwei Beiträge verfassten und die Nachrichten dann ganz automatisch bei dpa und Tagesschau landeten, weil sie relevant sind - ohne jede „Vitamin-B-technische“ begleitende Unterstützung.

Win-Win-Lose-Lose-Situation
Aus meiner Sicht handelt es sich bei dieser schillernden Geschichte um eine Win-Win-Lose-Lose-Situation. Gewinner sind SPIEGEL und Süddeutsche Zeitung, die öffentliche und vom Steuerzahler finanzierte Daten de facto wie eine Exklusivmeldung präsentierten, via dpa und Tagesschau kostenlose öffentliche Aufmerksamkeit erhielten - über die dpa-Meldung sogar von konkurrierenden Medien wie der FAZ. Gewinner sind auch dpa und Tagesschau, die von der journalistischen Arbeit Dritter profitierten. Verlierer sind meiner Meinung nach die Steuerzahler, die für den geldwerten Vorteil der kostenlosen Werbe- und PR-Wirkung weder Gewinn- noch Umsatzsteuer erhielten. Verlierer sind auch jene Medien, welche die dpa-Meldung mit „PR für die Konkurrenz“ (so sehe ich das) verbreiteten und dpa dafür wahrscheinlich sogar noch Geld zahlen.

Meine Meinung: Wenn dpa-Kunden und Öffentlichkeit dieses Spiel nicht durchschauen und nicht reklamieren, dann sind sie selbst verantwortlich. WAZ (hier ...) und Rheinische Post (hier ...), seit 2012 bzw. 2011 wieder dpa-Kunden, haben auf die „Werbung für Mitbewerber verzichtet. SPIEGEL und Süddeutscher Zeitung kann man hingegen keinen Vorwurf machen. Schließlich ist es ja ein Zeichen journalistischer Leistung, Quellen zu pflegen und Informationen - wenn möglich - exklusiv zu erhalten. Ob eine (meiner Meinung nach) bevorzugte Behandlung des SPIEGEL durch dpa und Tagesschau noch zeitgemäß und ethisch vertretbar ist, das ist eine spannende Frage.
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