Samstag, 30. November 2013

Blogbeitrag mit Folgen? Über das plötzliche Verschwinden einer IQWiG-Information zur Sicherheit von Insulin Glargin (Lantus)

Es gibt Ereignisse, die fangen mit einem kleinen Stein an, der ins Rollen gerät, andere Steine mit sich zieht und die zu einer mächtigen Gesteinslawine werden können, mit Folgen für Mensch, Haus und Hof im Tal. Der Stein, um den es hier geht, ist ein Blogbeitrag über „hinterfragungswürdige AOK-WIdO-Studien“. Ins Rollen gebracht hat diesen Stein eine Webseite, auf die der Blogbeitrag verlinkt und die soeben spurlos verschwunden ist. Auf einer vom Kölner Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) herausgegebenen Website befand sich im Zeitraum 15.12.2009 bis 08.09.2013 eine Seite mit der Überschrift: „Diabetes mellitus: Was sagen Studien zur Sicherheit des langwirksamen Insulinanalogons Glargin (Lantus)?“ Diese Seite ist nun abrupt verschwunden. Auf eine Anfang dieser Woche bei der Pressestelle des IQWiG eingereichte Anfrage habe ich leider noch keine Antwort erhalten. Hintergrundinformationen zu einer delikaten und politisch brisanten Geschichte ...
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1. Der Stein des Anstoßes
Ich habe am 08.09.2013 einen Blogbeitrag veröffentlicht („Alarmsignal“: hinterfragungswürdige AOK-WIdO-Studien im SPIEGEL. Heute die PKV, gestern das Analoginsulin Lantus.), der sich kritisch mit Medienberichten über Studien des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) auseinandersetzt, wenn diese noch nicht veröffentlicht wurden (somit ein Feedback der Scientific Community zur Aussagekraft verbreiteter Hypothesen fehlt) und wenn die Studien gleichzeitig politische Interessen der AOK berühren können. Dann besteht nämlich theoretisch die Möglichkeit, dass Schlussfolgerungen solcher Studien nicht nur durch wissenschaftlich sauber analysierte Zahlen, Daten und Fakten bestimmt werden sondern auch durch politische Motive.

Link zum SPIEGEL-Artikel ...


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„Untergang einer brisanten Studie, die der SPIEGEL zitiert hat
Im Rahmen dieses Blogbeitrags habe ich u.a. auf eine von IQWiG und AOK/WIdO gemeinsam publizierte Kohortenstudie (Diabetologia. 2009 Sep;52(9):1732-44) verwiesen, die - stark vereinfacht ausgedrückt - einen möglichen kausalen Zusammenhang zwischen dem Analoginsulin Glargin (Handelsname: Lantus) und Krebs als Hypothese vorstellt und den SPIEGEL zu der nicht erweislich wahren Behauptung veranlasste, „knapp 3500 Krebsfälle pro Jahr könnten auf Lantus zurückzuführen sein“ („Dünger für Krebszellen“, SPIEGEL ONLINE, 29.06.2009). Zentrale Behauptungen des SPIEGEL-Artikels stellen trotz Konjunktiv eine klare Fehleinschätzung dar, werden nicht durch die Studie gestützt, auf die Markus Grill und Veronika Hackenbroch verwiesen haben. Weil die Studie in zeitlicher Nähe zu Lantus betreffenden Preisverhandlungen publiziert wurde und sich der behauptete mögliche Kausalzusammenhang zwischen Studiendaten, Lantus und Krebs noch vor Veröffentlichung der Arbeit (!) „in Luft“ auflöste, kursiert seitdem das Gerücht, dass hier möglicherweise Preisverhandlungen mit harten Bandagen stattgefunden haben könnten - flankiert von IQWiG und SPIEGEL, mit GKV und Allgemeiner Ortskrankenkasse (AOK) als mutmaßlichen Profiteuren. Vielleicht gibt es unter den angeblich „wahren Gründen für Peter Sawickis Karriereende“ ja noch welche, die mit ihm selbst und seinem Verhalten zu tun haben ...

Dass zentrale Behauptungen des in reißerischer Tonlage verfassten und meiner Meinung nach ganz klar Ziffer 14 des Pressekodex verletzenden SPIEGEL-Artikels von Markus Grill und Veronika Hackenbroch trotz Konjunktiv nicht erweislich wahr sind, sich somit in einem Grenzbereich zu übler Nachrede (§186 StGB) bewegen, das belegen insbesondere zwei Quellen, auf die ich in meinem Blogbeitrag verlinkt habe:

Link zur EMA-Pressemitteilung ...




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1. Eine Pressemitteilung der European Medicines Agency vom 29.07.2009: Die IQWiG-AOK/WIdO-Studie wurde im September 2009 im Journal Diabetologia publiziert. Bereits am 29. Juli 2009, d.h. noch vor Veröffentlichung der Studie, stellte die Europäische Arzneimittel-Agentur in einer Pressemitteilung fest: „Due to methodological limitations the studies were found to be inconclusive and did not allow a relationship between insulin glargine and cancer to be confirmed or excluded. In addition, the Committee noted that the results of the studies were not consistent.“ Im Klartext bedeutet dies: Markus Grill und Veronika Hackenbroch haben von einem Krebsverdacht berichtet, der - soweit es um Lantus und die IQWiG-AOK/WIdO-Studie (sowie andere erwähnte Studien) geht - nichts weiter als eine Hypothese und Behauptung darstellt, die einer Überprüfung durch die Scientific Community nicht standgehalten hat. Die Studie selbst ist dabei nicht das Problem, sondern das, was der SPIEGEL daraus gemacht hat.

Auf die fehlende Aussagekraft der IQWiG-WIdO-Studie weist nicht nur die European Medicines Agency hin ... sondern auch das IQWiG selbst:

http://www.gesundheitsinformation.de/diabetes-mellitus-was-sagen-studien-zur-sicherheit-des-langwirksamen.589.de.html
http://www.gesundheitsinformation.de/diabetes-mellitus-was-sagen-studien-zur-sicherheit-des-langwirksamen.589.de.html


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2. Die Webseite „Diabetes mellitus: Was sagen Studien zur Sicherheit des langwirksamen Insulinanalogons Glargin (Lantus)?“ auf der vom IQWiG herausgegebenen Website www.gesundheitsinformation.de. Als ich meinen Blogbeitrag („Alarmsignal“: hinterfragungswürdige AOK-WIdO-Studien im SPIEGEL. Heute die PKV, gestern das Analoginsulin Lantus.) am 08.09.2013 ins Netz stellte und die Weblinks überprüfte, da war diese Seite noch verfügbar. Im November 2013 ist sie plötzlich ohne jede Begründung, ohne eine bisher übliche Dokumentation und ohne Auskunft auf eine Nachfrage bei der IQWiG-Pressestelle verschwunden. Interessant ist hier speziell die IQWiG-Aussage „Das langwirksame Insulinanalogon Glargin stand in den letzten Jahren im Verdacht, das Risiko für Krebs zu erhöhen. Bisherige Untersuchungen lieferten jedoch widersprüchliche und lückenhafte Ergebnisse.“ Diese Beschreibung stimmt nämlich inhaltlich mit dem überein, was die European Medicines Agency in ihrer Pressemitteilung vom 29.07.2009 bekanntgegeben hat.
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2. Die politische Brisanz
Wir befolgen die HONcode-Prinzipien
Gesundheitsinformation.de wirbt gut sichbar mit dem Argument, HON-zertifiziert zu sein. Der HON-Code ist eine Art Gütesiegel für die Qualität und Vertrauenswürdigkeit von medizinischen und gesundheitsbezogenen Informationen im Internet. Als Inhaber eines HON-Codes ist der Website-Herausgeber IQWiG u.a. dazu verpflichtet, das Datum der letzten Änderung klinischer Seiten gut sichtbar anzugeben (siehe: Punkt 4 der Regularien). Wie der folgende Screenshot der bisherigen „Glargin-Sicherheit-Seite“ zeigt, hat das IQWIG diese Regel zuvor korrekt eingehalten:

Information zur Sicherheit des Insulinanalogons Glargin  (Lantus) auf der Website www.gesundheitsinformation.de
Abbildung: HON-konforme Dokumentation der Versionsgeschichte.

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Seite nicht gefunden
http://www.gesundheitsinformation.de/diabetes-mellitus-was-sagen-studien-zur-sicherheit-des-langwirksamen.589.de.html

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Wird die „Glargin-Sicherheit-Seite“ des IQWiG nun einfach so aus dem Netz genommen, ohne Leser über diesen Sachverhalt zu informieren, dann ist dies nicht nur eine Verletzung des Transparenz-Gebots, für das der HON-Code steht. Es stellt sich auch die Frage, was das IQWiG zu dieser Maßnahme veranlasst haben könnte, wenn in naher Zukunft nicht noch ein banaler Grund (z. B. ein technischer Fehler) auftaucht.

Meiner Meinung nach gibt es genau drei Aspekte, die hier eine Rolle spielen könnten:

1. Fragwürdiges wissenschaftliches Verhalten: Es gibt den in diesem Blog schon ausführlich thematisierten und gut begründeten Verdacht (Quelle 1, Quelle 2), dass der frühere IQWiG-Chef Peter Sawicki Verhaltensweisen gezeigt haben könnte, die (vorsichtig ausgedrückt) mit vorbildlichem wissenschaftlichem Verhalten unvereinbar sind.

2. Fragwürdige „mediale Begleiter: Ausgelöst durch den Rechtsstreit zwischen dem Frontal21-Autor Jobst Spengemann und dem SPIEGEL-Redakteur Markus Grill findet schon seit geraumer Zeit eine Aufarbeitung von Ereignissen statt, die im Zusammenspiel des früheren IQWiG-Chefs Peter Sawicki und des Journalisten Markus Grill (früher „Stern“, heute SPIEGEL) zu beobachten waren. Es gibt den begründeten Verdacht, dass Markus Grill den früheren IQWiG-Chef Peter Sawicki in einer Weise „medial begleitet“ hat, die sich im Grenzbereich zu „PR und Abwehr-PR“ bewegt und durch schweres journalistisches und ethisches Fehlverhalten gekennzeichnet ist (z. B. in Hinblick auf -> Adel Massaad und -> Prof. Wolfgang Stock).

3. Hinterfragungswürdige Unabhängigkeit des IQWiG: Zum guten Schluss gibt es noch die bisher zu wenig hinterfragte Unabhängigkeit des IQWiG. Die Hälfte der zwölf Mitglieder des IQWiG-Stiftungsrats, der u.a. den Haushaltsplan des Instituts genehmigt und den Vorstand benennt, sind Vertreter des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband). Gleichzeitig verantwortet das IQWiG wissenschaftliche Untersuchungen, von denen die gesetzlichen Krankenkassen in Form von Kostensenkungen profitieren können. Aus dieser Verbindung können sich theoretisch Interessenkonflikte ergeben.

Die „widersprüchlichen und lückenhafte“ Ergebnisse“, von denen auf der verschollenen IQWiG-Webseite die Rede ist, berühren meines Erachtens Vorgänge, die einen Bezug zu allen drei hier genannten Konfliktpunkten haben können. Allerdings gilt auch: Der jetzige IQWiG-Chef Prof. Dr. med. Jürgen Windeler hat mit den ganzen Vorgängen nichts zu tun. Es handelt sich um IQWiG-Geschichte und die verschwundene Webseite demonstrierte positiv, dass unter der jetzigen IQWiG-Leitung Sachfragen im Vordergrund stehen. Umso unverständlicher wäre es, wenn durch das nicht begründete und nicht dokumentierte Verschwinden einer HON-zertifizierten Webseite „alte Geschichten“ ohne Not mit „neuen Geschichten“ verknüpft werden und so eine Lawine ins Rollen gebracht wird, die sich leicht stoppen lässt.
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Vielleicht taucht die bisherige „Glargin-Sicherheit-Seite“ ja doch noch wieder auf - am liebsten frei von Manipulation und Vertuschungen alter Sünden ...
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